Coronakrise: Vorschläge des Einzelhandels für eine Exitstrategie

Coronakrise: Vorschläge des Handels für eine Exit-Strategie

COVID-19 ist eine Herausforderung für Alle

Die gegenwärtige COVID-19-Pandemie fordert unsere Gesellschaft in beispielloser Form heraus. Um
die Zahl der Neuansteckungen und damit die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, setzt die Politik aktuell vor allem auf allgemeine Einschränkungen des sozialen Lebens („Social Distancing“). Diese Maßnahmen haben zum Schutz der Bevölkerung oberste Priorität.

Gleichzeitig haben die zur Eindämmung der Infektionen ergriffenen Maßnahmen gravierende ökonomische Folgen: Wirtschaftliche Aktivitäten kommen in einem nie dagewesenen Ausmaß zum Erliegen, der private Konsum bricht schlagartig ein. Dem von den staatlich verordneten Ladenschließungen betroffenen Einzelhandel wurde von einem Tag auf den anderen die Geschäftsgrundlage entzogen. Viele dieser Händler sind Mittelständler, die ohne eigenes Verschulden plötzlich um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen.

Auch wenn der weitere Verlauf der Pandemie aktuell noch nicht absehbar ist und Spekulationen über ein mögliches Enddatum der staatlichen Maßnahmen verfrüht sind, stellt der Deutscher Ethikrat in seiner Ad-hoc-Empfehlung „Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise“ vom 27. März 2020 richtigerweise fest:

„Über das grundlegende Ziel hinaus, die Infektionsrate zu reduzieren, geht es schon jetzt darum zu überlegen, wie eine geordnete Rückkehr zu einem einigermaßen ‚normalen‘ gesellschaftlichen und privaten Leben sowie zu regulären wirtschaftlichen Aktivitäten erfolgen kann, um die ökonomischen, kulturellen, politischen und psychosozialen Schäden möglichst gering zu halten.“

Vor diesem Hintergrund hat der HDE ein 10-Punkte-Plan erarbeitet, um einen konstruktiven Beitrag für die bestmögliche Gestaltung der vor uns liegenden Wochen zu leisten.

10 Punkte für eine geordnete Rückkehr zur Normalität

Der HDE unterstützt die Bundesregierung und die Landesregierungen in ihren Anstrengungen, die Ausbreitung von COVID-19 rasch einzudämmen. Der Schutz der Gesundheit hat oberste Priorität. Gleichzeitig gilt es, gemeinsam mit der Politik die Voraussetzungen für einen geordneten Weg aus dem kompletten Shut-Down zu schaffen. Wir werden hierzu unseren Beitrag leisten, benötigen aber für ein gutes Gelingen unbedingt ein koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen. Bund und Länder sollten sich daher möglichst frühzeitig auf einen bundesweit einheitlichen und verlässlichen Rahmen einigen. Die schrittweise Rückkehr zu einem geordneten Geschäftsbetrieb sollte nach einheitlichen, nicht-diskriminierenden Vorgaben für den gesamten Einzelhandel erfolgen. Lockerungen, die z.B. nach Betriebsgrößen/ Verkaufsfläche oder Einzelhandelsbranchen differenzieren, führen zu Wettbewerbsverzerrungen, Rechtsunsicherheit und kollektiver Verunsicherung. Unklare, komplizierte Regelungen gilt es unter allen Umständen zu vermeiden. Click & Collect muss nach bundesweit einheitlichen Vorgaben in ganz Deutschland möglich sein.

Sobald die Maßnahmen zur Eindämmung des COVID-19  Erfolge zeigen, ist es an der Politik, ihren Zeitplan für eine Normalisierungsstrategie offenzulegen. Klare Verhaltensregeln und konsequente Hygienemaßnahmen für Mitarbeiter und Kunden können die schrittweise Rückkehr zu einem geordneten Geschäftsbetrieb ermöglichen. Der von Schließungen betroffene Einzelhandel bereitet sich bereits intensiv auf den Tag der Öffnung der Geschäfte vor. Die Unternehmen bereiten Personaleinsatzpläne vor und treffen geeignete Maßnahmen zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes stellt dabei ein wesentliches Element dar und sollte im öffentlichen Leben als allgemeine Bürgerpflicht begriffen werden. Staatliche Hygieneauflagen und Verhaltensregeln sind so auszugestalten und zu überwachen, dass die Handelsunternehmen sie auch umsetzen und gleichzeitig den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten können. Ein föderaler Flickenteppich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen von Auflagen durch die lokalen Gesundheitsbehörden gilt es unter allen Umständen zu verhindern.

Auch die Bürger brauchen ein klares Aufbruchssignal, damit der private Konsum und Investitionen angekurbelt werden. Der private Konsum ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor und Impulsgeber für die Gesamtwirtschaft. Mit der Ausgabe von Konsumschecks und der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags würden nicht nur der Handel, sondern auch der Dienstleistungssektor und die Industrie nach der Shut-Down-Phase profitieren.

Die Unternehmen brauchen ein Fitnessprogramm, um den Erholungsprozess zügig und nachhaltig zu schaffen. Wesentlich sind hier auch Entlastungen von nicht notwendigen gesetzlichen Vorgaben wie Statistikmeldungen und Berichtspflichten sowie der Verzicht auf nicht notwendige Gesetze, im Sinne eines Belastungsmoratoriums. Weitere konkrete Maßnahmen, um Unternehmen bei der Stabilisierung ihrer finanziellen Situation zu unterstützen sind:

  • Liquiditätshilfen/ Direktzuschüsse / Verbürgte Betriebsmittelkredite zur Verfügung stellen
  • Verlustverrechnung vereinfachen
  • Risikoteilung zwischen Mietern und Vermietern Mietenrecht klarstellen (§ 313 BGB)
  • Infektionsschutzgesetz als Grundlage für Entschädigung wählen

Der HDE fordert das BMF auf, einen Nothilfefonds für kleine und mittlere Unternehmen einzurichten. Der Fonds soll spezifische Hilfen für tatsächlich anfallende Zahlungen, z.B. Mietforderungen oder Stromrechnungen anbieten, die aufgrund der plötzlich ausbleibenden Nachfrage nicht mehr geleistet werden können. Ziel muss eine unbürokratische Unterstützung dieser Betriebe sein. Dabei ist auch die mittelfristige Liquiditäts- und Ertragslage der KMU zu beachten, d.h. es darf keine Zahlungsunfähigkeit nach Ablauf von gewährten Hilfskrediten drohen. Deshalb sollten die gewährten Hilfen für eine nachhaltige Gesundung der KMU höchstens teilweise rückzahlungspflichtig sein. Vorbild für eine direkte Unterstützung könnte der Aufbauhilfefonds sein, der in Folge des Hochwassers 2013 aufgelegt wurde.

Für den besonders betroffenen Einzelhandel bedarf es während der kritischen Phase dringend befristeter Flexibilisierungen sowie weiterer Erleichterungen bei den Personalkosten, um ein Überleben vieler Unternehmen zu ermöglichen:

  • Hierzu gehört als zentrale Forderung eine Verlängerung der Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld auf 24 Monate. Es muss dabei vor allem auch eine unbürokratische stufenweise Anhebung der Arbeitszeit während des Kurzarbeitergeldbezuges gewährleistet werden, damit Arbeitgeber auf die zunächst verringerte Kundefrequenz im Einzelhandel flexibel reagieren können.
  • Für eine weiter optimierte Personaleinsatzplanung wäre im Einzelhandel befristet zudem die einseitige Anordnung von Urlaub durch den Arbeitgeber erforderlich.
  • Die erleichterte Stundungsmöglichkeit für Gesamtsozialversicherungsbeiträge (März und April) muss zudem über die Sommermonate hinaus verlängert werden. Für Härtefälle bedarf es auch eines echten Beitragserlasses aus öffentlichen Mitteln. Die Beitragsstabilität (40-Prozent-Grenze) ist aber weiter zu beachten.

Es bedarf einer flächendeckenden befristeten Liberalisierung des Ladenöffnungsrechts. Insbesondere die Ladenöffnung an Sonntagen sollte befristet für das Jahr 2020 ohne Auflagen und Beschränkungen zugelassen werden. Damit würde insbesondere den Non-Food-Händlern die Chance gegeben, die verlorenen Umsätze zumindest teilweise zu kompensieren. Erweiterte Ladenöffnungszeiten tragen auch dazu bei, weiterhin bestehende Auflagen (z.B. Hygienevorschriften, Abstandsgebot) effizienter durchzusetzen, da sich das Kundenaufkommen besser verteilt. 

Um Lieferstaus abbauen und mit verminderter Logistikkapazität die Versorgung weiterhin aufrechterhalten zu können, sollten die Ausnahmen für die Anlieferung des Handels in Neben- und Nachtzeiten bis auf Weiteres aufrechterhalten werden. Auch hier ist eine bundesweit einheitliche Regelung unbedingt erforderlich. Dabei ist in Erwägung zu ziehen, die Belieferung zu Nachtzeiten auch auf weitere Branchen auszudehnen. Die Händler könnten sich auf den Verkauf und die Einhaltung etwaiger Schutzmaßnahmen konzentrieren und Warenannahme und -verräumung in kundenarme oder freie Zeiten verlegen.

Um zusätzliche Anreizeffekte für einen Innenstadtbesuch zu erzeugen, sollte ein Kulturfonds durch das Staatsministerium für Kultur und Medien zur Verfügung gestellt werden. Die Städtebaufördermittel könnten in folgenden Punkten bis einschließlich 2021 aufgebohrt werden: Beratung des innerstädtischen Gewerbes in Punkto Zukunftsfähigkeit des Unternehmens;  Aufwertung der Geschäfte in Hinblick auf eine Attraktivitätssteigerung und Erhöhung der innerstädtischen Aufenthaltsqualität. Zudem sollte ein Innenstadtstabilisierungsfond aufgebaut werden, ähnlich dem Rettungsschirme für Firmen, die vor ein Übernahme von ausländischen Firmen geschützt werden sollen. Der Staat muss die deutschen Innenstädte vor dem Ausverkauf schützen, denn die Innenstädte sind Herz und Seele unserer Städte.

Fast alle EU-Mitgliedstaaten haben mit Grenzschließungen bzw. Einschränkungen des Grenzverkehrs auf die Corona-Krise reagiert. Für ein reibungsloses Funktionieren der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Waren in der EU und zum nachhaltigen Schutz der Integrität des Binnenmarktes ist es elementar, diese Maßnahmen zum gegebenen Zeitpunkt wieder vollständig zurückzunehmen und zu einem Vor-Krisen-Status zurückzukehren. Dies gilt gleichermaßen für die von zahlreichen EU-Mitgliedstaaten verabschiedeten Krisenmaßnahmen, mit denen z.B. zur Vermeidung von engpassbedingten Wucherpreisen in die freie Preissetzung oder anderweitig in die unternehmerische Freiheit eingegriffen wurde. Die EU-Kommission, wie auch die Bundesregierung, die ab 1. Juli 2020 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, müssen einen voll funktionierenden EU-Binnenmarkt zu ihrer Top-Priorität erklären. Nur dann können die Lieferketten reibungslos funktionieren und die vielfältige Versorgung der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleistet werden.